Sa. 13.2.16
5 Uhr morgens, meine innere Uhr sagt „aufstehen“. Das ist selten und kommt nur bei besonderen Gelegenheiten vor und heute ist so eine: Der Tagesausflug mit dem Boot nach Urus, den schwimmenden Inseln aus Schilf beginnt um kurz vor 7 mit dem uns abholenden Bus. Das heißt: Frühstück um 6 und vorher noch Bilder einstellen und mit der family skypen, weil um diese Zeit das Internet schneller ist.
Das angeblich pünktlich um 7 abfahrende Boot wartet auf irgendwen oder -was und fährt erst gegen 8 los. Peruanische Lebensart eben. Dafür musiziert ein Sänger mit Ukulele und Panflöte 2 Lieder zum Zeitvertreib, die Sonne scheint und wir haben ein Speedboot, was die „lahmen Enten“ locker überholt. Ein herrlicher Tag beginnt. Der riesige See liegt friedlich und spiegelglatt vor uns (danke, Petrus!) und von den gestrigen Regenschauern ist nichts mehr zu sehen. Der Führer erzählt von Winden der letzten Tage, der See kann wohl auch anders. Die natürlichen Inseln sind davon betroffen und haben dann schwer zu kämpfen, aber die schwimmenden Inseln sind in diesem Teil des Sees im Schilf geschützt.
20 Jahre ist es ungefähr her, seit ich von diesen Inseln im Fernsehen einen Bericht gesehen habe und ich hätte nie gedacht, dass ich mal auf solch einer stehen würde. Heute ist es soweit. Welch ein Erlebnis. Es ist wie auf Watte laufen, so weich, jedem Schritt nachgebend. Wir besuchen eine Insel, auf der 4 Familien leben. Sie müssen schon sehr gut befreundet sein, wenn sie auf so engem Raum miteinander auskommen. Hier erhalten wir auch eine Miniaturvorstellung des Baus einer Insel. Wir machen eine kleine Bootsfahrt mit einem Schilfboot rund um den Pott (für 10 Extrasoles pro Nase), werden in ein Haus eingeladen (damit wir anschließend ihre überteuerten Arbeiten kaufen) und besuchen 10 min die Hauptinsel, wo es Toiletten, Tee, Schokolade, Bier und einen Stempel in den Reisepass gibt. Seit Monaten schon habe ich kein Twix mehr gesehen, aber ausgerechnet hier auf der schwimmenden Insel gibt es das. Hm – wir schlagen zu und kaufen eins, einen Tee und ein kleines Stück typisches, in Fett gebackenes Brot für 16 Soles = 5 Euro! Egal. Die Leute hier sind auf den Tourismus als einzige Geldeinnahmequelle angewiesen und sie bekommen nur 2 Mal im Monat Besuch, weil die Inseln, auf denen 2000 Menschen wohnen, reihum besucht werden.

Wie alt schätzt ihr die Frau oben links? Unten links der „Chef“ der Insel

Die Schilfboote werden mit Plastikflaschen zum Auftrieb gefüllt

Zum Ausgleich für den Einblick ins Privatleben erwarten die Damen, dass man ihre Arbeiten für teuer Geld kauft

Der Bau der Insel im Schnelldurchlauf im Miniformat
Dasselbe in grün auf der natürlichen Insel Taquile: Auch hier leben die Menschen von den Einnahmen der mit Booten hingekarrten Besucher. Es gibt 2 „Häfen“ auf der Insel. Die einen Touris landen auf der einen Seite an, die anderen auf der anderen. Jeder Touri muss einmal über den Berg kraxeln. Wenn ich kraxeln schreibe, meine ich auch kraxeln. Es gibt nämlich auf der ganzen Insel keine Pferde, Esel, Autos oder anderen Fortbewegungshilfen, weshalb die Menschen hier so alt werden: Sie müssen täglich den steilen Pfad rauf und runter, leben von dem was sie anbauen (Kartoffeln, Mais, Bohnen, Quinoa) und von den dort lebenden Tieren (Schafe und eine Kuh hab ich gesehen), also sehr gesund.

Menschen auf Taquile
Es geht wirklich seeeeehr steil den Berg rauf. Für uns, die wir uns seit geraumer Zeit bereits an die Höhe akklimatisieren konnten, ist dies kein großes Problem, auch auf fast 4000 m Höhe nicht mehr. Wir wissen, dass wir langsam und stetig raufgehen müssen. Aber die anderen stoffen gleich los, nur um nach 20 m japsend auf den Steinen sitzend uns passieren lassen zu müssen. Der Führer gibt uns einen Einblick in die Fauna, so dass sich alle wieder etwas erholen können. Wir haben ein Mittagessen gebucht und müssen zum Restaurant hoch. Die einheimische Küche kommt einer Geschmacksexplosion im Mund gleich. Diese Kartoffeln und Gemüse haben einfach mehr natürlichen Geschmack als unsere hochgezüchteten Waren in Europa. Wieder erleben wir die Selbstüberschätzung diverser Männer, die einfach nicht wahrhaben wollen, dass man(n) hier anders agieren muss. Ich mache mir echt Sorgen, weil so manch einer japsend und schwankend vor mir hertorkelt, nur damit er vor mir oben ankommt. Man(n) kann sich doch nicht von einer Frau überholen lassen…

Jeder der 6 Bögen markiert die Gemeindegrenzen auf der Insel Taquile
Oben angekommen, kommt auf dem Hauptplatz der Musikzug der Insel vorbei: Es ist der vorletzte Tag des Karnevals. Mit Trommeln und Flöten begleitet tanzen die in leuchtend bunten Farben gekleideten Frauen um die Häuser. DAS kann man nur an 5 Tagen im Jahr erleben und wir waren zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt hier! Toll!

Karneval auf peruanische Art
Auf der anderen Seite der Insel geht es wieder runter zum Hafen. So ist gewährleistet, dass jeder Besucher wirklich an jedem Stand der Insel vorbeikommt und jeder Einheimische Gelegenheit hat, Geld zu verdienen. Es ist ein wunderschöner Spaziergang, denn der Führer überlässt jedem in Eigenverantwortung sein eigenes Tempo. Er hält nicht die Gruppe zusammen, sondern verlangt von uns, selber aufzupassen. Richtig so, wir sind schließlich keine kleinen Kinder. Ich genieße diese Freiheit. Es reicht, wenn man am Boot aufeinander wartet.
Leider muss ich dem Schlafmangel und dem frühen Aufstehen der letzten Tage Tribut zollen und so fällt die Bootsrückfahrt der Erschöpfung zum Opfer. Ich bin wohl nicht die einzige…
Wir lassen den herrlichen Tag bei dem restlichen peruanischen Rotwein von gestern ausklingen.
Auf euch zu Hause, Prost!
VGB
Auflösung des Rätsels: Die Frau auf dem Bild ist 22 Jahre alt. Ich hätte sie locker 10 Jahre älter geschätzt.