Heute legen wir einen Ruhetag in der alten Goldgräberstadt Dawson City ein. Nachdem wir gestern bei Minusgraden aus Alaska über den Top of The World Highway hierhin geschliddert und gefroren sind, kommt uns dieser Ruhetag sehr gelegen. Skagway, den Startpunkt des Klondike Goldrauschs, haben wir als erstes in Alaska besucht. Heute schließt sich der Kreis. Kaum vorstellbar, dass sich vor 100 Jahren fast 40.000 Glücksritter in der beschaulichen Stadt aufhielten. Das sind mehr als heute im gesamten Yukon Terretorium (größer als Deutschland) leben. Viele alte Gebäude aus der Zeit sind erhalten geblieben oder in diesem Stil neu errichtet worden. Mit den ungeteerten Straßen und den hohen hölzernen Bürgersteigen kommt man sich wie ein Zeitreisender vor. Wären da nicht die ganzen Autos auf den Straßen. Wir erkunden die Stadt, verweilen am Ufer des Yukon River und statten dem Westminster Hotel, die Einheimischen nennen es Liebevoll „The Pit“ einen Besuch ab. Die Versuche von B. ausländisches Bier (Alaskan Amber) zu bestellen führen bei der Barfrau zu interessanten Minenspielen. Ein einheimisches Bier und zwei Säfte später machen wir uns auf den Rückweg zu unserer Unterkunft, dem Bunkhouse. Nachdem wir uns dort gestärkt haben, steht noch als Highlight der Besuch des Sourdough Saloons im Downtown Hotel an. Dort kann man(n) sich den weltberühmten Sour Toe Cocktail zu Gemüte führen. Das Wichtige an dem Cocktail ist nicht der Alkohol (dieser muss mindestens 40% Alkohol enthalten), sondern die Einlage. Diese besteht nämlich aus einem mumifizierten menschlichen Zeh. Seit 1973 gibt es diese Touristenattraktion zu erschmecken. Der Originalzeh soll einem Goldsucher und Alkoholschmuggler bei der Flucht vor der Polizei abgefroren und anschließend amputiert worden sein. Beim Trinken muss der Zeh die Lippen berühren. Ansonsten gilt die Mutprobe als nicht bestanden. Gleiches gilt, wenn der Zeh komplett in den Mund genommen wird. Sollte der Zeh verschluckt werden – was auch schon vorgekommen ist – sind 2500 Dollar Strafe und ein Ersatzzeh fällig. Das ganze Engagement wird dann mit Zertifikat und Aufnahme in den Sour Toe Club gewürdigt.
Als wir gegen 21:15 Uhr diesen ehrwürdigen Ort durch die Schwingtüren betreten, kommen wir schon fast nicht mehr zur Tür herein. So groß ist die Menschentraube der Wagemutigen und Schaulustigen. Nach einer kurzen Orientierung mache ich mich zur Theke auf und ordere die alkoholische Grundlage für diese yukonsche Spezialität. Meine Wahl fällt auf Yukon Jack, einen Whiskylikör, welcher nach Aussage der Bedienung als Standardgetränk für dieses Spektakel herhalten muss. Mittlerweile haben sich die Reihen schon deutlich gelichtet und es dauert nicht mehr lange und ich bin an der Reihe. Nach dem ich Platz genommen habe, erklärt mit Captain Jack die Spielregeln. Währenddessen werfe ich einen Blick auf das undefinierbare schwarze Etwas auf einem Salzhaufen (damit ist der Zeh gemeint). Jetzt weiß ich auch warum der Drink mehr als 40% Alkohol enthalten muss. Soll wohl desinfizierend wirken. Nach einem Nicken meinerseits versenkt der Captain den Zeh in meinem Drink. Jetzt hilft nur noch Augen zu und durch. Den Zeh hast Du Dir eingebrockt, also must Du das Glas auch leertrinken. Mutig trinke ich das Glas leer, aber der blöde Zeh will sich einfach nicht vom Boden lösen. Mist, die Regeln sind nicht erfüllt. also vorsichtig das Glas schütteln, bis sich der blöde Zeh endlich löst. Nach einer gefühlten Ewigkeit berührt er dann meine Lippen, uaaaahhh. „Stell Dir einfach vor, es wäre eine Cocktailkirsche“. Aber bloß nicht schlucken. sonst sind wir schon in Kanada Pleite!!!!
Ich lasse den Zeh noch einen kurzen Moment an meinen Lippen verweilen, Captain Jack soll das ja auch mitkriegen, und stelle das Glas erleichtert auf dem Tisch ab. Geschafft!!! Denkste! Captain Jack wringt den Zeh noch aus und nickt aufmunternd. Igitt. Runter damit! Ich bin das 62.788 Mitglied in diesem Club.
Nachdem ich das Zertifikat überreicht bekommen habe. Spüle ich an der Bar noch mit einem leckeren einheimischen Bier nach.
Bärbel übt sich in damenhafter Zurückhaltung und meint, dass ein Zertifikat auch für uns beide reichen würde. Ich weiß auch nicht warum, aber an diesem Abend habe ich von B. keinen Kuss mehr bekommen.
Grüße aus dem Yukon, M.